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"4 Ukraine" Siła kobiet
"4 Ukraine" Жіноча сила"
"4 Ukraine" Die Macht der Frauen



WERSJA POLSKA    УКРАЇНСЬКА ВЕРСІЯ    DEUTSCHE VERSION






PROJEKTINTERVIEWS


Tetiana Ryabko wurde innerhalb des Landes aus der Region Saporischschja umgesiedelt und lebt jetzt in der Stadt Kowel in Wolhynien.

Fangen wir doch mit einer einfachen Frage an: Woher kommst Du und wie alt bist Du?

Mein Name ist Tetiana, ich komme aus Huljajpole, das liegt in der Region Saporischschja. Ich bin 37 Jahre alt.

Wo hast Du studiert und welchen Abschluss hast Du?

Ich habe die Schule in Huljajpole besucht und abgeschlossen und anschließend an der Landwirtschaftlichen Universität in Melitopol an der Fakultät für Rechnungswesen und Wirtschaftsprüfung studiert.

Wie lange lebst Du jetzt schon in Kowel? Seit der Umsiedlung? Wie haben Dich die Stadt und die Menschen hier aufgenommen? War es für Dich psychisch schwierig, Dich an die lokale Mentalität/Kultur anzupassen?

Ich bin am 8. März 2022 in diese Region gezogen, also bin ich seit einem Jahr und einem Monat hier. Ich bin begeistert von dieser Stadt. Von Kowel selbst, von den Menschen und wie sie uns aufgenommen haben. Ich erzähle all meinen Freunden, dass es unwahrscheinlich ist, dass man uns im Osten so freundlich empfangen wätte wie hier. Sie sind gastfreundlich und offen.

Es war nicht schwer, sich zurechtzufinden. Es gab keine Probleme, die Menschen halfen auf alle möglichen Weisen, unterstützten mit Arbeitsplätzen und Wohnungen. Die dringendsten Bedürfnisse, die wir hatten, haben wir dank der Einwohner erfüllt.

Erzähl uns doch etwas über Deine Heimatstadt Huljajpole. Was ist das für eine Stadt, wofür ist sie bekannt?

Hulajpołe ist eine kleine Stadt. Sie ist als Herkunftsort von Nestor Machno bekannt, dem Anführer der Aufstandsbewegung des 20. Jahrhunderts. Es ist hier so eine Person ein bisschen, wie es in der Westukraine Stepan Bandera war. Zwei anarchistische Zweige, die von den sowjetischen Staatsorganen in der Ukraine in den letzten Jahrzehnten bis zum Zusammenbruch der UdSSR gezielt zurückgedrängt wurden. Jetzt, vor genau zehn Jahren, wurde erneut darüber gesprochen, dass man versuchen sollte, ein Stadtbild auf ihm aufzubauen.

Welche Umstände haben Dich dazu bewegt, Deine Heimatstadt zu verlassen? Für wie lange hast Du gedacht, umzuziehen? Wusstest Du überhaupt, wohin Du fährst?

Das Kriegsgeschehen. Wir haben uns dafür buchstäblich nach zwei Stunden entschieden, als die Artillerie begann, uns zu beschießen. Vom 26. Februar bis zum 8. März haben wir in unserer öffentlichen Organisation versucht, unser Bestes zu geben. Wir organisierten eine Freiwilligenbewegung. Wir begannen, alles Notwendige für unsere TRO (Territoriale Verteidigung) und das Militärpersonal, das zu diesem Zeitpunkt in der Stadt war, bereitzustellen. Dann war es sehr kalt. Nachdem wir 8-10 Tage im Keller geschlafen hatten, wurde uns klar, dass es so nicht weitergehen könnte, dass wir die Kinder wegbringen müssten…

Wo begann die Freiwilligenbewegung und wie war das Ausmaß? Wie hat die lokale Bevölkerung auf den Beginn einer neuen russischen Angriffsphase reagiert? Schließlich konnten die Ukrainer im Westen denken, dass die Bevölkerung im Osten stereotypisch stark pro-russisch orientiert sei.

Anfangs herrschte Schweigen, weil der Stadtrat von Huljajpole nicht wusste, wie er sich verhalten sollte. Es stimmt, dass unsere Region spezifische Ansichten hat. In den ersten zwei oder drei Tagen gab es eine komplette Informationslücke seitens des Stadtrates. Wir wussten nicht, ob unsere Stadt bereits kapituliert hatte oder nicht. Alles begann mit dem Aufruf: "Lasst uns gemeinsam Molotow-Cocktails bauen". Aber als wir die ersten Panzer sahen, wurde uns klar, dass es sich um Kinderspielzeug handelte ( sagt sie lachend). Die Männer halfen dann bei den Cocktails; die Großbauern, die über die nötigen Mittel verfügten, kauften auch gleich Drohnen - im Allgemeinen halfen sie der Armee weiter. Wir Frauen begannen, Lebensmittel und Medikamente zu besorgen. Es gab auch viele Hindernisse... als zum Beispiel die Russen bereits zwanzig Kilometer vor der Stadt standen. Sie kamen jedes Mal aus mehreren Richtungen um fünf Kilometer näher. Uns war klar, dass jeder Aktivist sofort ausgeliefert oder gefunden werden würde - so waren die ersten zehn Tage in der Stadt. Die Häuser aller, die sich seit 2014 als Freiwillige engagiert hatten, wurden beschossen.

Das bedeutet, dass sich die Stadt sofort für ein gemeinsames Ziel zusammengeschlossen hat. Die Menschen zögerten nicht, sich zu vereinen, um der Armee und den betroffenen Menschen zu helfen.

So haben wir einen "Chatroom" eingerichtet, in dem die Leute schreiben konnten, was sie brauchen. Zum Beispiel: "Ich brauche dringend Benzin", und man versuchte zu helfen, wenn man gefragt wurde. In nur zwei Tagen versammelten sich bis zu dreitausend Menschen, die die Situation ständig überwachten, Hilfe leisteten und innerhalb weniger Stunden alles besorgten, was nötig war.

Gehen wir ein wenig zurück in der Zeit bis zum 24. Februar, als die russische Aggression noch nicht ihr volles Ausmaß erreicht hatte. Ich weiß persönlich, und Du hast es in diesem Interview bereits erwähnt, dass Du in einer Sozialbewegung mitgewirkt hast. Wie sah die Tätigkeit aus und was war das Ziel?

Unsere Bewegungist entsatnden, als Widerstand nötig war. Wir sollen über Eisenerzvorkommen verfügen (so heißt es dort), aber in Wirklichkeit handelt es sich laut einer Studie von 1986 um Uran- und Goldvorkommen. Die Stadt hatte bereits mehrfach geplant, einen Steinbruch zu eröffnen. Dies würde eine vollständige Entwässerung der Region und eine mögliche Strahlenbelastung bedeuten. Seit 2009 haben sich Menschen zweimal zu Demonstrationen versammelt und wir haben die Eröffnung dieses Steinbruchs verhindern können. Wir haben uns zusammengeschlossen, weil uns die Förderung der Jugend am Herzen lag - die Bevölkerung wird immer älter, es gibt keine Arbeitsplätze, und die jungen Menschen wandern ab. Wir wollten den Jugendlichen sagen, dass "diese Stadt Stil hat, dass "eure Stadt cool ist, dass sie groß ist, dass sie eine gute Geschichte hat", um auch die Stadtverwaltung zu motivieren, sich für die Jugendförderung einzusetzen und die Region touristisch aufzuwerten. Deshalb sind wir in diese Richtung gegangen, wir haben eine Jugendorganisation gegründet. Natürlich sind nicht nur junge Menschen beteiligt, es ist eine vielschichtige Organisation, die in viele Richtungen arbeitet. Mein Vater hatte eine Organisation namens 'Huljajpolska gromada'. Auf dieser Grundlage haben wir eine Organisation gegründet, in der wir uns an all diesen Aktivitäten beteiligt haben.

Das bedeutet, dass es für Dich eine Art Familienunternehmen ist, in der Gemeinschaft aktiv zu sein, sie zu gestalten und zu verändern? Wie ich sehe, sind Dein Vater und Du selbst solche örtlichen Leitfiguren Eurer Stadt.

Ich weiß nicht, wie wir das in einer Stadt in der Europäischen Union regeln würden, aber hier geschieht das sozusagen aus der Notwendigkeit heraus. Man ist mit etwas nicht einverstanden, also muss man ständig seine Interessen verteidigen.

Schließlich muss man sich auf ein Anliegen einigen und alle mobilisieren.

Das ist nun mal so.

Wie hat Dein Tag am 24. Februar begonnen, was hast Du gefühlt, als Du aufgewacht bist? Wie sah der Morgen aus?

Mein Mann hat schon seit langem davon gesprochen. Er hat alle amerikanischen Quellen gelesen und mir immer wieder davon erzählt, aber ich habe es nicht geglaubt, ich habe es nicht akzeptiert. Dann gingen wir zum Nationalen Korps (das Büro der Vertreter der politischen Bewegung - Anm. d. Red.), dort hat man über die Möglichkeiten der Evakuierung im Falle einer Invasion gesprochen. Sie sagten dann, dass, sobald es zu irgendwelchen Unruhen käme, man die Kinder der Mitglieder und Unterstützer direkt in den Westen der Ukraine bringen könnte. Ich hörte mir das alles an, dachte darüber nach - ich nahm es nicht ernst. Als wir am Morgen Explosionen hörten, rief die Vorsitzende unserer örtlichen Partei "Nationales Korps" an. Sie sagte: 'Der Krieg hat begonnen', ich geriet sofort in Panik. Mein Mann sagte zu mir: "Verdammt! Was sollen wir jetzt machen?". Zunächst beschlossen wir, zu bleiben und die Kinder nirgendwo hinzuschicken, weil wir wussten, wo wir sie finden würden.

Erzähl uns ein wenig über deine Arbeit im Nationalen Korps. Es handelt sich um eine Bewegung, die im Süden und Osten ein sehr empfindliches und schwieriges Thema war, schließlich ist es eine nationalistische Bewegung, die spezifisch für diese Regionen ist. Was hat Dich dazu bewegt, dem Nationalen Korps beizutreten?

Das Nationale Korps ist der politische Zweig von AZOV. Als AZOV sah, dass der Kampf im Osten eine Sache ist, und alles in der Werchowna Rada akzeptiert und behandelt wird, wurde eine politische Partei gegründet. Wir hatten 2020 Wahlen und wir haben alles getan, um etwas zu Hause zu verändern, nur dann gab es immer wieder Konfrontationen mit dem Stadtrat (Rathaus - Anm. d. Red.). Deshalb war ich anfangs Mitglied des Stadtrats und natürlich auch Mitglied der Opposition. Dann haben wir uns entschlossen, an die Spitze zu gehen und sind zu den Wahlen gegangen. Da haben wir zum ersten Mal gesehen, was Wahlen sind und wie viel alles (in der Ukraine - Anm. d. Red.) kostet. Wir hatten kein Geld dafür, wir hatten eine Idee (lacht). Das Korps befand sich in einem Nachbardorf, Polohy, wo Teilnehmer der ATO (ein Komplex von Operationen gegen illegale russische Kriegsformationen, die einen Teil des Gebiets der Regionen Donezk und Lugansk in der Ostukraine eingenommen haben - Anm. d. Red.) seit 2014 persönlich beteiligt waren. Ich hatte während der Wahlen Kontakt zu ihnen, weil sie mir bei meinem Wahlkampf geholfen haben. Aus dem Nationalen Korps kamen einige gleichgesinnte junge Frauen, und von ihnen allen wurde ich nominiert, um mich für Menschen wie mich einzusetzen, weil das ein heikles Thema in unserem Land ist.

Wie war Deine Erfahrung mit den Wahlen? Im Hinblick darauf, dass Du keine finanzielle Unterstützung hattest? Warst du selbstsicher, obwohl du wahrscheinlich wusstest, dass du nicht gewinnen würdest?

Ich wollte an den Wahlen gar nicht teilnehmen - das ist nichts für mich. Politik, Bürokratie - das ist überhaupt nicht mein Ding. Ich wollte mit meinem Team arbeiten, einen neuen Atem bekommen, neue Ideen sammeln, Spender und Projekte erreichen können, da dies in unserer Gemeinde sehr schwierig ist. Im Grunde Im wollten wir, da wir bereits Erfahrung hatten, eine kleine Stadt europäisch machen, den Tourismus, die Wirtschaftsentwicklung, die Jugendförderung voranbringen. Meine Mädels und ich haben lange über alles nachgedacht und beschlossen, mit den Kräften, die wir haben, weiterzugehen. Überall gab es Aufregung, viele Unternehmer schlossen sich an, weil sie sich an unseren "Kampf um den Steinbruch" erinnerten. Ich habe auch unsere Jugendlichen in allen Berufsschulen besucht. Ohne Unterstützung, mit einem Budget von 20.000 Griwna, habe ich es geschafft, mit 800 Stimmen den zweiten Platz zu belegen, gegenüber dem ersten Platz, wo das Budget für die Kampagne mehrere Millionen betrug.

Sprechen wir doch mal über das Leben in Kowel. Was hast du am Anfang des Umzugs gemacht? Wer ist überhaupt mit Dir hierher gezogen?

Meine beiden Kinder und meine Schwester mit ihren beiden Kindern, meine Mutter und weitere Verwandte - insgesamt 12 Personen. Wir sind ganz zufällig hier gelandet, denn ein Jahr zuvor waren wir viermal auf dem Unternehmer-Maidan (Protest der Unternehmer - Anm. d. Red.) und haben dort eine Unternehmerin aus Kowel kennengelernt. Gerade als der Evakuierungszug nach Lviv eintreffen sollte, kam ein Zug nach Kowel, und so stiegen wir ein. Es waren unglaublich viele Menschen dort, ich rief diese Bekannte an und sagte: " Sag uns, was wir tun sollen".  Sie half uns sehr, man holte uns ab, als wir dort ankamen, sie halfen uns kostenlos. Wir lebten in so einem großen befreundeten Haushalt. Zuerst wohnten wir im selben Haus, dann zogen wir alle in verschiedene Siedlungen.

Als wir im März ankamen, dachten wir: "Das war's. Alles hat jetzt ein Ende." Während dieser Wartezeit gingen meine Schwester und ich zu einer Saisonarbeit im Beerenanbau, insgesamt haben wir drei Monate lang gearbeitet. Als uns dann klar wurde, dass wir auch im Herbst nicht zurückkommen würden, begannen wir uns zu fragen, was wir nun tun sollten. Diese Situation des Abwartens, bis sich etwas ändert, bremst ja alle Prozesse aus und man kommt nicht weiter.

Womit bist du heute beschäftigt?

Ich arbeite derzeit als Freiwillige für eine NRO, die sich mit SMM beschäftigt. Ich kann nur sagen: Wenn man etwas will, darüber nachdenkt und Signale an das Universum sendet, dann wird alles wahr. Man lernt so viele coole Leute in verschiedenen Gebieten kennen, und all die guten Dinge verwirklichen sich auf die bestmögliche Art und Weise. So bin ich jetzt für SMM in einer großartigen, starken Gemeinschaftsorganisation zuständig.

Du hast politische Erfahrung gesammelt, warst sozial aktiv und arbeitest jetzt im SMM. Hattest du vielleicht Hobbys verbunden damit oder wie bist du zum SMM gekommen?

Nun, als Hobby hat es mir immer etwas Spaß gemacht. Ich habe mir Blogger angeschaut und auch versucht, einen Instagram-Account im Bereich Selbstentwicklung zu führen, das hat mich interessiert. Weil ich zu Hause ein ganz anderes Business hatte, einen ganz anderen Job, blieb mir nie Zeit für ein Hobby. Jetzt sind wir in einer anderen Stadt mit einer unklaren Zukunft. Dann sieht man tatsächlich, was man alles machen kann. Ich hatte einen Beruf, ein Unternehmen, nur eine ganz bestimmte Richtung - ich bin Buchhalterin und ich hasse diese Arbeit. Deshalb schaut man, was einem gefällt, und beginnt, diese Bereiche zu entwickeln.

Das heißt, du hast professionell mit SMM erst in Kowel angefangen. Hat dich diese Stadt dazu inspiriert, das Hobby zum Beruf zu machen?

Falsches Wort, das sie mich nur 'inspiriert' hat! (Stadt - Anm. d. Red.) Sie hat mir durch Inspiration und Hilfe alles ermöglicht!

Du lebst seit einem Jahr in Kowel, wie gefallen dir die Traditionen dort? Wie gefällt Dir Wolhynien und die Region Kowel? Hattest du die Möglichkeit, lokale Traditionen zu erleben oder kennenzulernen?

Ich habe mich nicht allzu sehr mit den lokalen Traditionen befasst. Im Allgemeinen stehen viele der traditionellen Dinge hier im Zusammenhang mit Religion, Kirchen und kirchlichen Feiertagen. Ich habe damit nur am Rande zu tun. Meine Schwester hat eine Oster-Babka segnen lassen und ich habe sie gegessen. Wolhynien selbst ist sehr schön, auch die Natur. Über Saporoschje gibt es nichts zu sagen, dort haben wir schon im Juni Dürre, alles wird gelb. Und hier ist die Natur erstaunlich, sie zieht an und fasziniert. Vielleicht sind die Menschen deshalb anders, denn bei uns ist es trocken und die Menschen sind irgendwie 'trocken', aber hier (in Volyn - Anm. d. Red.) sind sie nett und 'frisch'.

Hulajpołe befindet sich fast wöchentlich, wenn nicht sogar täglich, an der Frontlinie. In den Nachrichten können wir sehen, dass Hulajpołe wieder beschossen wurde. Wie ist es jetzt mit Deiner Stadt? Hattest Du seit dem Umzug schon die Gelegenheit, sie zu besuchen?

Ich war dreimal in Huljajpole: im Sommer, im September und im Dezember. Wir hatten dort eine kleine Gruppe von Hochhäusern, in denen etwa 40 % unserer Stadt gewohnt haben, aber die Mehrheit der Bewohner lebte im privaten Sektor. Fast die gesamte Stadt ist mehr oder weniger zerstört, das Stadtzentrum ist vollständig vernichtet. Wo mehrere Verwaltungsgebäude standen, ist alles völlig zerstört. Bis jetzt ist nur eine der vier Schulen verschont geblieben. Selbst wenn wir dorthin zurückkehren, gibt es derzeit keine Infrastruktur, um dort irgendwie zu leben, insbesondere mit Kindern....

Weißt Du, wie viele Menschen in der Stadt geblieben sind? Sind Freunde, Bekannte, Verwandte von Dir geblieben?

Die Stadt hatte 16.000 Einwohner, von denen 12.000 tatsächlich dort lebten. Heute sind es nur noch etwa 500 Menschen, aus anderen Quellen tausend, die in der Stadt sind. Die Straßen sind fast leer. In unserer Straße gibt es niemanden mehr, den man anrufen und fragen könnte, wie es zu Hause ist. Gelegentlich fährt jemand in ein benachbartes Dorf oder nach Huljajpole, also bitten wir ihn, vorbeizuschauen und zu sehen, was dort los ist.

Du hast gesagt, dass niemand mehr auf der Straße lebt. Wie sieht es bei Dir zu Hause im Allgemeinen aus? Haben die Kämpfe Dein Haus beeinträchtigt?

Nun...es begann so.... Letzten Mai wurde unser Laden komplett zerstört - er wurde vom "Hagel" (Raketenwerfer - Anm. d. Red.) zertrümmert. Im September flog eine S300-Rakete direkt in unseren Hof, zerstörte die Garagen, den Hinterhof und traf das Haus.  Wir sind im Hinterhof an einem kleinen Haus vorbeigekommen, dessen Dach komplett abgerissen wurde, und das zweite Zimmer wurde ebenfalls beschädigt. Das bedeutet, dass unser gesamtes Eigentum, alles, was wir hatten, beschädigt oder völlig zerstört wurde.

Wie nehmen die Kinder das alles wahr, wie empfinden sie das alles?

Sie haben sich schnell eingelebt und hier Freunde gefunden. Wenn ich sie frage, ob sie nach Hause wollen, sagt mein Sohn (10 Jahre alt) ja, aber er versteht nicht, was dort vor sich geht oder wie man dorthin kommt. Meine Tochter sagt, dass sie hier bleiben möchte, weil sie womöglich versteht, was dort los ist. Sie geht hier zur Schule und mein Sohn beendet die 4. Klasse, also wird er diese auch besuchen.

Und nun eine etwas persönlichere Frage: Was hältst Du vom russischen Volk?

Im Moment, im Alltag - Gleichgültigkeit, totale Gleichgültigkeit. Wenn man umschaltet, kann man nicht die ganze Zeit Aggression spüren. Wenn ich in verschiedenen sozialen Netzwerken sehe, was sie der Stadt antun, ist da natürlich Aggression, da ist Hass.

Es ist schwierig, jetzt irgendetwas zu planen, selbst zu träumen ist sehr schwierig, aber wie siehst Du Deine Zukunft?

Wir alle sind an einem Tag in ein anderes Leben gesprungen. Die Zukunft ist potenziell schwierig aufzubauen, weil sie von einer finanziellen Komponente abhängt. Es ist überhaupt nicht klar, ob ich zurückkommen werde oder ob mein Haus wieder aufgebaut wird. Kann ich einfach meinen Lebensstil ändern? Jetzt ist man noch auf der Suche nach sich selbst, weil das, was einmal wertvoll für einen war, diesen Wert im Handumdrehen verlieren und einfach verschwinden kann. Und an diesem Punkt beginnt man sich sagen zu hören, dass man gerne experimentiert und Neues ausprobiert.

Träumen wir jetzt. In einem Tag wird man lesen können, dass sich die Frontlinie aus Huljajpole zurückgezogen hat und dass der Feind bereits aus den ukrainischen Gebieten vertrieben wurde und alle besetzten Gebiete wieder zurückgegeben wurden. Deine Reaktion?

...Natürlich wird es ein Vergnügen sein. Es wird ein Vergnügen an sich sein. Es ist nur so, dass je stärker der Reiz auf einen Menschen wirkt, desto mehr gewöhnt man sich an ihn. Wenn nämlich eine Woche nach dem Krieg alles zu Ende wäre, gäbe es natürlich eine große Euphorie. Aber heute wird dieser Wert ausgelöscht, also gibt es natürlich Freude, Zufriedenheit über den Sieg, aber gleichzeitig gibt es eine noch größere Unsicherheit. Vielleicht bin ich es, die das so seltsam wahrnimmt, ich habe keine so klaren, hellen Emotionen, ich sehe es nicht....

Wir haben hier geträumt, aber vielleicht hast Du eigene Handlungspläne. Wie siehst Du die Zukunft Deiner Heimatstadt?

Heute sehe ich in dem Plan keine Zukunft für meine Stadt, wenn die gleiche Regierung und ihre Überzeugungen in der Arbeit der Stadtverwaltung und in der Nachkriegsentwicklung der Stadt und ihrem Wiederaufbau bleiben. In diesem Fall wird dort nichts Gutes geschehen. Für den Wiederaufbau und die Entwicklung müssen junge, tatkräftige Menschen eingestellt werden, denn die ältere Generation oder die Rentner haben eine völlig andere Sicht auf alles, auch auf die Zukunft. Ich denke jedoch, dass all diese Prozesse immer noch von der staatlichen Politik abhängen werden, denn wenn all diese Prozesse auf höchster staatlicher Ebene perfekt geregelt sind, haben die Menschen vor Ort keine Möglichkeit, dies in irgendeiner Weise negativ zu beeinflussen.

 Abschließend: Was möchtest oder kannst Du den Menschen sagen, die keine Verbindung zur Ukraine haben und keine Ukrainer sind? Welchen Rat würdest Du ihnen auf der Grundlage Deiner Nachkriegserfahrungen geben?

Mehr in die eigene Entwicklung zu investieren, die eigenen Mittel zur eigenen Zufriedenheit einsetzen. Mobil sein und finanzielle Ersparnisse haben. Und selbst wenn sich ähnliche Situationen ergeben, muss man sich so schnell wie möglich von der Vergangenheit lösen und sich anpassen, als ob man nichts mehr hätte. Denn wenn man emotional sowohl mit "dort" als auch mit "hier" verbunden ist, hängt man in der Luft. Man entwickelt sich nicht und verharrt einfach. Das Problem ist, dass diese Phase nicht nur ein oder zwei Tage dauert, sondern sich über Jahre hinziehen kann.






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